Person 2: Das Kurz- und Langzeitgedächtnis
Wie kommt sprachliches Wissen in unser Gehirn?
Sprache wird durch Hören oder Lesen aufgenommen. Wie die Aufnahme erfolgt und was abgespeichert wird, kann der Lernende zum grossen Teil beeinflussen: Aufmerksamkeit, Interesse und Vorwissen spielen dabei eine Rolle. Weitere Faktoren sind in der Situation gegeben: Aktivierung der Sinne, Atmosphäre, emotionale Beteiligung usw.
Wenn wir etwas hören oder lesen, richtet sich die Aufmerksamkeit besonders auf den Inhalt und weniger auf die Form. Das Aufgenommene wird gespeichert. Falls der Inhalt nur für einen kurzen Gebrauch abgespeichert wird, kommt es ins Kurzzeitgedächtnis. Dieses Wissen kann, falls es nicht wieder aktiviert wird, verloren gehen. Falls es längerfristig abgespeichert wird, dann kommt es ins Langzeitgedächtnis.
► Vertiefung
Beim abgespeicherten Wissen wird zwischen zwei Formen von Wissensbeständen unterschieden:
- Wissen, zu dem ein direkter Zugang besteht: Ich weiss, dass … Dieses kann gezielt und kontrolliert abgerufen werden. Es geht dabei vor allem um Sachwissen. In der Schule wird oft auch grammatisches Wissen auf diese Weise gelernt: Ich weiss, wie ich das Verb savoir konjugieren kann. In einem spontanen Gespräch auf Französisch würde einem aber die erste Person im Singular eventuell nicht sofort einfallen. Dieses Wissen eignet man sich in einer Fremdsprache an, indem man Vokabeln auswendig lernt, Verben konjugieren lernt usw.
- Wissen, zu dem wir normalerweise keinen bewussten Zugang haben. Es ist automatisch verfügbar. Zum Beispiel müssen wir uns in der Erstsprache in der Regel nicht überlegen, wie der Satz aufgebaut ist oder wie ein Verb konjugiert wird. Wir bilden Sätze und konjugieren Verben, ohne darüber nachzudenken (wie beim Gebrauch der Erstsprache). Dieses Wissen eignet man sich unbewusst an, sein Vorhandensein zeigt sich nur im Können.
Oft erwirbt man dieses sprachliche Wissen neben der Erstsprache nur bei einem längeren Sprachaufenthalt, bei bilingualem Sprachunterricht oder in der Zweitsprache.
Aus Sicht der Wissenschaft spricht man von Spracherwerb, wenn sprachliches Wissen (Wörter, grammatische Strukturen und Gebrauchsregeln) angewendet wird. Eine Sprache können heisst, dass sprachliches Wissen weitgehend automatisch / unbewusst aktiviert werden kann.
► Quelle
Stern, Otto: Bilingualer Sachunterricht – Integrierter Fremdsprachenunterricht. Neue Erkenntnisse im Fremdsprachenerwerb. In: i-mail 1/02, Schwerpunktthema: Neue Erkenntnisse im Fremdsprachenerwerb, S. 4-8.